Externes Lektorat oder 4-Augen-Prinzip?

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Nachverfolgte Änderungen

In den Normen für Übersetzungsleistungen - sowohl in der alten DIN EN 15038 wie auch in der neuen DIN EN 17100 - wird das 4-Augen-Prinzip grundsätzlich für alle Übersetzungsprozesse gefordert. Doch ist dieses wirklich immer und für jede Textsorte notwendig und auch wirtschaftlich sinnvoll? Welchen Zusatzwert hat die externe Korrektur, den ich als Kunde zu zahlen bereit bin?

Betrachten wir einmal den Ausgangstext. Wird dieser auch von einem zweiten oder externen Korrektor lektoriert? In der Regel wird das z. B. bei einem Geschäftsbrief, einem Angebot oder einem technischen Datenblatt eher weniger oft der Fall sein. Dort begnügt man sich normalerweise damit, den Text selbst ein- oder mehrmals Korrektur zu lesen. Ein zweiter Arbeitsschritt würde das Ganze nur unnötig verteuern (ohne einen wirklichen Mehrwert für den jeweiligen Verwendungszweck zu bieten) und den Gesamtprozess auch erheblich verlangsamen. Wenn ein Text sehr schnell benötigt wird und die Fehlertoleranz im Normalbereich liegt, dann wird man sicher davon absehen.

Anders liegt der Fall bei sehr aufwändigen Broschüren, die im Hochglanzdruck erstellt werden, oder bei Büchern und Veröffentlichungen in Zeitschriften. Dort wird mehr Wert auf besonders sorgfältige Ausdruckweise und auf jedes Komma und jeden Punkt gelegt. Hier wird von jeher öfter ein Lektor eingesetzt, weil die Anforderungen in diesem Bereich einfach sehr viel höher sind.

Ein ähnliches Vorgehen ist auch bei der Übersetzung sinnvoll. Als Regel würde ich von folgendem Leitsatz ausgehen: Je mehr Aufwand in den Ausgangstext gesteckt wird, desto mehr Aufwand muss auch in die Übersetzung gesteckt werden. Wobei höherer Aufwand eben immer auch höhere Kosten bedeutet.

Ist eine Übersetzung schlecht, wenn sie nicht nach dem 4-Augen-Prinzip erstellt ist? Oder kann angemessene Qualität nicht auch mit eigener Korrektur geleistet werden? Wie lautet überhaupt die Begründung für das 4-Augen-Prinzip?

Der Grund für die Anwendung des 4-Augen-Prinzips liegt ganz einfach darin, dass man eigene Fehler schlechter erkennt und auch Rechtschreibprüfungen und sonstige Werkzeuge zur Qualitätssicherung nicht alle Fehler erkennen. Deshalb ist eine Korrekturlesung immer notwendig. Jedoch zeigen diverse Studien, dass das menschliche Gehirn manche Fehler einfach ausgleicht und somit gar nicht bewusst wahrnimmt. Das Gehirn arbeitet beim Lesen quasi im „Autokorrektur-Modus“. Vor allem, wenn man den Text schon mehrmals gelesen und bearbeitet hat, kann es leicht passieren, dass man über etwas Falsches drüber liest. Genau dies soll mit dem externen Lektor und dem 4-Augen-Prinzip verhindert werden. Das funktioniert natürlich auch nur zu einem gewissen Grad, weil auch das Gehirn des Lektors über einen Autokorrektur-Modus verfügt. Nahe hundertprozentige Fehlerfreiheit würde also mehrere Lektoren erfordern und ist deshalb meist weder zeitlich machbar noch bezahlbar.

Verbessert sich die Qualität der Übersetzung durch ein externes Lektorat?

Sicher. Richtig sollte die Übersetzung allerdings schon vorher sein, bevor sie zur Korrektur geht. Einmal mehr ist die Automobilindustrie oder Technik mit ihren Toleranzen ein gutes Beispiel, das auch auf Übersetzungen angewendet werden kann. Das Auto (oder die Übersetzung) sollte in jedem Fall gut fahren und betriebssicher sein - es muss aber nicht an jedem Fahrzeug das Spaltmaß wie beim Premiumfahrzeug ausfallen und auch nicht jeder technische Schnickschnack drin sein. Je nach Verwendungszweck ist das manchmal wünschenswert und ein andermal nicht oder weniger wichtig. So liegt in gewisser Weise die Entscheidung bei den Auftraggebenden, welches Maß gewünscht ist.

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