Gendern in der Übersetzung oder beim Dolmetschen
von Regina Seelos

Der Genderstern wird in so manchem Forum meiner Branche wie auch in der Gesellschaft insgesamt immer mal wieder heiß diskutiert, z. B. als er kürzlich einen Platz im Duden bekommen hat. Die Aufnahme getrennter männlicher und weiblicher Berufsbezeichnungen in den Duden war auch einen Aufreger wert. Insgesamt wird das inklusive Gendern von manchen noch kritisch gesehen. Bei der Amtseinführung von Joe Biden als 46. Präsident der USA übersetzte der renommierte Dolmetscher Jürgen Stähle in der Tagesschau vom 20.1.2021 die Anrede „My fellow Americans“ beispielsweise mit „Liebe Amerikanerinnen und Amerikaner“. Sinngemäß wurde gefragt: Darf er das überhaupt? Jemandem ungefragt gegenderte Ausdrucksweisen in den Mund legen?
Abgesehen davon, dass jede Verdolmetschung und im Grunde auch jede Übersetzung eine Interpretation ist und dass Dolmetschen im Englischen sicher nicht ohne Grund als Interpretation bezeichnet wird, ist immer mit Blick auf die Zielgruppe oder die Angesprochenen zu formulieren. Warum sollte das nicht gelten, wenn es ums Gendern geht? Alle Zuhörer:innen und Zuschauer:innen wären im Deutschen eher irritiert, wenn nur die Männer angesprochen würden. Stellen Sie sich vor, sie säßen in einem Vortrag und der begänne mit „Sehr geehrte Herren“. Ich bin mir sicher, dass das auch die Herren im Publikum etwas wunderlich fänden. Wir sind das einfach nicht mehr gewohnt.
Heute schon Alltag
Mit dem Genderstern, Unterstrich, Binnen-I oder Doppelpunkt sieht es nicht anders aus. Für sehr viele ist dies nicht mehr verwirrend, unverständlich oder überraschend. Er gehört inzwischen zum normalen Schriftbild dazu, egal wohin man im täglichen Leben schaut. Man begegnet diesen Zeichen in der Werbung, auf Plakaten, in Stellenanzeigen, Artikeln und als kleine Sprechpause in Nachrichtensendungen. Inzwischen sieht man dies sogar in großen Tageszeitungen.
Aus diesem Grunde habe ich mich entschlossen, meine gesamte Website nach und nach vollständig gendergerecht umzuschreiben. Allerdings mit Doppelpunkt statt Stern. Der Doppelpunkt ist für Webseiten aus Gründen der Barrierefreiheit besser geeignet, da er von Vorlesefunktionen sehr gut verständlich als kleine Pause gelesen wird. Damit nicht nur alle mitgemeint, sondern auch mitgenannt sind. Auch in Bezug auf Suchmaschinen ist der Doppelpunkt - Stand heute - vorteilhaft.
Natürlich sollte man Texte für einen besseren Lesefluss mit diesen Zeichen nicht überladen. Man sollte sie sparsam einsetzen und dort, wo möglich, andere Formulierungen wählen. Wenn der Text dadurch aber an Lebendigkeit verlieren oder sperrig würde, dann springt er ein, dieser kleine, freundliche, inklusive Helfer.
Wenn Sie Ihre Übersetzungen ins Deutsche oder einsprachige deutsche Texte auch etwas inklusiver formuliert haben möchten - mit oder ohne Stern - sprechen Sie mich gerne an.
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