BDÜ-Fachkonferenz 2019 Übersetzen und Dolmetschen 4.0
von Regina Seelos
Mein persönlicher Rückblick
Übersetzen und Dolmetschen 4.0
"Neue Wege im digitalen Zeitalter" lautete das Motto im World Conference Center in Bonn, dem ehemaligen Deutschen Bundestag, vom 22. bis 24. November 2019.
Zunächst einmal muss ich sagen, dass ich immer noch hin und weg bin. So viel Information und Reflexion über die Entwicklungen in unserer Branche und Gelegenheit, so viele Kollegen, die man sonst nur virtuell kennt und trifft, mal persönlich kennenzulernen!
Die Keynote und die ersten Vorträge am Freitag habe ich leider verpasst, weil noch ein dringender, kurzfristig eingegangener Auftrag auf Fertigstellung wartete. Aber dann ging es los zur ersten Podiumsdiskussion zum Thema „Übersetzen in Zeiten von MÜ“! Daraus ergaben sich einige Aspekte, die ich vorher noch nicht bedacht hatte. Wie sieht es eigentlich mit den Urheberrechten bei der maschinellen Übersetzung aus, selbst schon bei Translation Memories? Wer hat die Rechte an den Übersetzungen, die mithilfe von MÜ-Engines erstellt wurden, die auf Korpora basieren, die wiederum aus vielen zuvor abgespeicherten Satzpaaren basieren. Wir dürfen dabei tatsächlich nicht vergessen, dass maschinelle Übersetzung nicht aus dem Nichts entstehen, sondern auf Basis zuvor ver- und erarbeiteter Übersetzungen. Maschinelle Übersetzung oder auch künstliche Intelligenz in diesem Zusammenhang ist kein „Denkvorgang“ wie beim Menschen, nichts Kreatives. Es sind schlicht vorhandene Daten, die durch Algorithmen ausgewertet und neu zusammengesetzt werden, ob regelbasiert oder in neuronalen Netzwerken. Das heißt auch, dass das Ergebnis stark von den eingespeisten Daten abhängt. Zu diesem Punkt und der technischen Seite konnte ich in einem späteren Vortrag auch noch einiges dazulernen.
Legal Tech
Die zweite Session drehte sich um meinen Hauptarbeitsbereich: die Rechtsbranche. Auch hier gibt es gravierende Veränderungen im Bereich Legal Tech – was im Grunde oft Bots meint, die dann z. B. zu Standardverträgen führen, die sich aus verschiedenen Modulen zusammensetzen. Möglicherweise müssen wir hier umdenken und ähnlich wie Fotografen vorgehen und die mehrmalige Nutzung unserer Übersetzungen in der Preisfindung berücksichtigen, um dem Rechnung zu tragen. Solche mehrfach nutzbaren Segmente müssen natürlich auch anders formuliert werden – es dürfen keine Bezüge auf vorangegangene Sätze oder Abschnitte vorhanden sein. Alles muss für sich genommen so stehen bleiben können. Auf den elektronischen Rechtsverkehr mit den Gerichten dürfen wir auch gespannt sein. Die nähere Zukunft wird zeigen, ob die ehrgeizigen Ziele der Justiz innerhalb des Zeitplans erreicht werden. Ich bin jedenfalls vorbereitet. Neu für mich war, dass die elektronisch signierten Dokumente keine händische Unterschrift und keinen Stempel brauchen – damit entfällt das Ausdrucken und Einscannen und das vereinfacht den Prozess.
Benutzerdefinierte Engines
Da ich bei Tests mit Maschinenübersetzungen bisher keine guten Erfahrungen gemacht habe – gut im Sinne von wenig Vor- und Nachbearbeitungsaufwand – und ich keine wirkliche Zeitersparnis feststellen konnte (oftmals sogar eine Verlangsamung), fand ich den Vortrag zu „Terminologie in der maschinellen Übersetzung“ äußerst interessant. Loctimize hat Test mit Katalogtexten gefahren, bei denen beim Einsatz von MÜ häufig die kundenspezifische Terminologie ein Problem darstellt. Durch benutzerdefinierte Engines konnten hier die Ergebnisse stark verbessert werden. Möglicherweise wäre das auch ein Ansatzpunkt für meine Arbeit, da beim eigenen Engine der Datenschutz unproblematisch ist. Allerdings wurde auch hier gesagt, dass der Aufwand der Vor- und Nachbereitung und die auftragsspezifische Erstellung des Engines nur bei sehr großen Volumen wirtschaftlich sinnvoll ist. Das könnte wieder der Knackpunkt sein. Aber ich werde weiter testen und die Entwicklung beobachten.
Post-Editing
Carmen Canfora und Jean Nitzke gingen im Vortrag zum Post-Editing von maschineller Übersetzung auf die wirtschaftlichen Aspekte ein, auf die Qualitätsanforderungen sowie auch auf die Haftungsfrage. Die Entscheidung darüber, ob und welche Art von Post-Editing notwendig ist, ist immer eine Frage oder Zusammenspiel von Wirtschaftlichkeit (sprich: echte Zeitersparnis), geforderter Qualität (manchmal reicht es auch ganz ohne Post-Editing, wenn man nur den groben Sinn eines Textes erfassen möchte), und Haftung (für Schäden bei Fehlern, z. B. Medikamenten-Packungsbeilage, bis hin zu Datenschutzverstößen). Gerade das Haftungsrisiko ist noch gar nicht geklärt und wird momentan bei der EU diskutiert. Die Krux ist, dass gerade solche Textsorten wie Packungsbeilagen, die stark standardisiert sind und damit für Maschinenübersetzung grundsätzlich geeignet wären, ein Problem bei der Haftung darstellen.
Stimme und Videodolmetschen
Am Sonntag Morgen bin ich mit etwas Wellness in den Tag gestartet und habe mir den Vortrag zur Stimmhygiene, Stimmerwärmung und Stimmpflege für Dolmetscher angehört. Die Tipps, die ich dort erhalten habe, werden mir nicht nur beim Dolmetschen helfen, sondern auch im „täglichen Gebrauch“ meiner Stimme.
Evangelos Doumanidis und Sandra Haldimanns Vorträge zum Videodolmetschen waren zwar recht konträr, ergänzten sich aus meiner Sicht trotzdem sehr gut, weil sie den Aspekt aus zwei Richtungen beleuchteten. Alles hat Vor- und Nachteile, ganz klar. Sicher ist Videodolmetschen nicht für alle Settings geeignet, für andere dafür umso besser. Für mich auch deshalb besonders interessant, weil mein Dolmetschkurs Anfang dieses Jahres zum größten Teil online stattfand – auch dies wäre früher gar nicht möglich gewesen.
Alles in allem eine wahnsinnig informative und lehrreiche Konferenz an einem Ort, der nicht besser hätte sein können. Danke BDÜ!